Wie geht es weiter mit Paul II, der vielleicht letzten begehbaren Braunkohlentiefbaustrecke?
Auf einer Anhöhe in Sachsen-Anhalt steht ein imposanter, aber verfallener Gebäudekomplex aus der Zeit des Braunkohlenbergbaus. Das alte Revierhaus und der seit 1964 verfüllte Schacht wirken auf den ersten Blick wie ein Relikt längst vergangener Tage. Unter der Oberfläche verbirgt sich jedoch eine interessante Entdeckung: eine alte Fahrstrecke, jahrzehntelang verborgen und zugemauert. Nach viel Hin und Her konnten wir den Hohlraum freilegen. Doch was nun: Soll die Fahrstrecke verfüllt werden, oder könnte sie ein Denkmal vergangener Bergbaukunst bleiben?
Im Süden Sachsen-Anhalts, auf einer Anhöhe an der B 91, steht einsam auf weiter Flur inmitten landwirtschaftlich genutzten Umfelds ein alter Gebäudekomplex. Der Standort ist exponiert und fällt ins Auge. Die Gebäude wirken alt und verfallen, aber dennoch außergewöhnlich. Bei näherem Hinschauen erkennt man ein in Ziegel gemauertes Schachtgebäude mit Fördergerüst und ein Reviergebäude, auf dessen markantem Giebel gekreuzte Schlegel und Eisen sowie die Aufschrift „Paul II“ Auskunft über den Namen des Schachtes geben. Der Förderturm mit eisernem Strebenfördergerüst von 1915 gilt als die letzte erhaltene Tagesanlage einer Braunkohlentiefbaugrube in Sachsen-Anhalt. Ein Abriss kommt aus Denkmalschutzgründen nicht in Betracht, vielmehr wird eine Sicherung und Sanierung des Zeitzeugen für die touristische Nachnutzung angestrebt.
Hier im Süden Sachsen-Anhalts befindet man sich regionalgeologisch gesehen am Westrand der Leipziger Tieflandsbucht mit ihren braunkohlenführenden Tertiärschichten. Ziel der bergmännischen Tiefbauarbeiten, für die „Paul II“ errichtet wurde, war das 10 m mächtige Thüringer Hauptflöz (Flöz III).
Abb.: Wiederverfüllung des Schurfs S24/2, Blickrichtung Nord
Die Braunkohlentiefbaugruben der Region wurden im Wesentlichen zwischen 1860 und 1925 betrieben. Die Grube „Paul“ wurde als eine der letzten Tiefbaugruben 1959 eingestellt. Die Schachtanlage wurde 1897 als Wasserschacht durch die Grube „Louise“ in Betrieb genommen. Der Schacht wurde 1911 als Förderschacht V von der Grube „Paul II“ übernommen. Ab 1920 diente der Schacht als Fahr- und Materialschacht und später zur Wasserhaltung der Grube. Der ausgemauerte Schachtquerschnitt ist leicht oval und beträgt 5,6 m x 2,6 m. Der Schacht ist insgesamt ca. 56 m tief und wurde 1964 verfüllt.
Über die Art der Verfüllmassen liegen keine Angaben vor. Zwischen Schacht und Reviergebäude verläuft entsprechend der alten Rissunterlagen oberflächennah eine Fahrstrecke, die verfüllt sein soll, über deren Tiefenlage und deren Verfüllzustand aber keine genauen Angaben vorliegen.
Und hier kommt HPC ins Spiel.
Die LMBV (Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH) als Rechtsnachfolger des Altbergbaus der DDR-Braunkohlenbergbaubetriebe hat uns beauftragt, ihren Verantwortungsbereich auf oberflächennahe und unbekannte Hohlräume zu untersuchen, und diese nachfolgend zu verfüllen. Damit soll ein sicheres Betreten und Befahren der Fläche auch mit schweren Fahrzeugen ermöglicht werden, als Voraussetzung für die weitere Instandsetzung der Gebäude.
Abb. links: Mauerdurchbruch im Keller | Abb. rechts: Blick auf zugemauerte Treppe zum Erdgeschoss
Spannend war in diesem Zusammenhang natürlich die Frage nach dem Zustand der Fahrstrecke. Diese wurde offensichtlich vom Revierhaus aus begangen, nach bisherigem Kenntnisstand lagen für die Fahrstrecke jedoch keine Hinweise vor. Das Revierhaus war in den 90er Jahren zwischenzeitlich zum Wohnhaus umgebaut worden. In dem Zusammenhang hatte man wohl nicht mehr benötigte, alte Zugänge verschüttet oder zugemauert.
Ein erster Untersuchungsschritt, eine Archivrecherche im Landesarchiv in Wernigerode, erbrachte interessante Einblicke in Unterlagen zum Standort, aber keine Erkenntnisse zur Fahrstrecke.
Im nächsten Untersuchungsschritt führten wir eine Ortsbefahrung im Beisein eines Statikers durch, um uns einen sicheren Zugang zum verfallenen Reviergebäude zu verschaffen. Dabei stießen wir auf zwei interessante bauliche Eigenheiten. Wir fanden einen abgemauerten schmalen Kellerbereich ohne Zugang. An dessen Außenseite konnten wir nach eingehender Prüfung erkennen, dass ein ehemaliger Zugang fachgerecht und passend zur Fassadengestaltung zugemauert worden war.
Gewissheit zu erhalten war nur durch Einsatz von Gewalt und Geduld möglich. Denn zunächst musste der Statiker uns eine schriftliche Freigabe erteilen und festlegen, unter welchen Sicherheitsvorkehrungen der Keller betreten und in die Wand eine Öffnung geschlagen werden konnte. Außerdem mussten für zwei Schürfe auf die Trasse der Fahrstrecke im Außenbereich ein Bagger besorgt sowie unser Außendienst eingebunden und eingewiesen werden.
An einem schönen Februarmorgen waren die Formalitäten geklärt und der Zugang zum Gelände geregelt.
Beim ersten Schurf wurden wir schon unerwartet nah unter der Erdoberfläche fündig. Wir legten die gemauerte Fahrstrecke von außen frei und konnten ihre äußeren Maße aufnehmen. Verfüllt war sie in diesem Bereich locker mit Asche. Nun fieberten wir der Öffnung der Blendmauer im Keller entgegen. Wir schleppten das Notstromaggregat, Beleuchtung und einen elektrisch betriebenen Hammer in den Keller. Mit der Kettensäge wurden Balken zu Stützen zurechtgeschnitten.
Dann ging alles recht schnell: Als der erste Ziegelstein laut hörbar in die Fahrstrecke plumpste, war uns klar, dass wir einen unverfüllten Hohlraum vor uns hatten.
Schnell wurde eine größere Öffnung geschaffen, sodass Kopf und Lampe Platz hatten. Fast wie damals Howard Carter bei der Öffnung des versiegelten Pharaonengrabes fiel unser Blick im Schein des Lampenstrahls auf einen lang verborgenen Gang: die Fahrstrecke. Noch ein paar Steine wurden entfernt, dann durfte unsere Kollegin als erste nach möglicherweise 60 Jahren die Fahrstrecke betreten und die noch hängenden alten Lampen bewundern. Über die Treppe ins Haus hatte man eine Betonplatte gegossen. Darüber befand sich ein Sanitärraum, dem man den Zugang zur Fahrstrecke nicht ansehen konnte. Leider war die Fahrstrecke in Richtung Schachtgebäude nach wenigen Metern verbrochen. Es bleibt unklar, ob sie systematisch verfüllt wurde oder wegen der tagesnahen Lage lokale Einbruchstellen vorliegen.
Abb.: Blick in der Fahrstrecke vor Beginn der Verfüllung in Richtung Treppenzugang
Nun wartet die Fahrstrecke wieder geduldig auf weitere Entscheidungen: Soll sie aus Sicherheitsgründen mit Dämmer versetzt werden oder kann sie als möglicherweise einzige letzte begehbare Braunkohlentiefbaustrecke saniert und für touristische und kulturelle Zwecke erhalten bleiben?
HPC ist in jedem Fall dabei. Unser Planungsauftrag ist noch lange nicht zu Ende.