Die HPC und die IQ-Tower der Hamburger Hafencity
Wer Hamburgs Herz, die Hafencity, besucht, schaut in der Regel auf neue und alte eindrucksvolle Bauwerke – oder auf das weite Wasser. Dabei lohnt auch ein Blick auf den Boden. Nur wer diesen beherrscht, kann in einem Hafen bauen. Von Sand, Sturmfluten und einem Wassereinbruch:
Die Hamburger Hafencity ist ein Ort der Superlative: Es ist das größte Entwicklungsprojekt in einer europäischen Innenstadt. Weltweit gibt es nur wenige ähnliche Projekte. Bis 2025 entstehen hier auf einer Fläche von 157 Hektar vor allem Wohn- und Büroflächen. Und Platz finden auch Geschäfte, Schulen und sogar eine Universität.
Im Herzen des neuen Quartiers, direkt neben der HafenCity Universität, wurden 2017 drei markante Gebäude errichtet: die IQ Tower. Besonders auffällig unter ihnen ist der 70 Meter hohe Büroturm. Dieser verfügt nicht nur über 18 Ober-, sondern auch 2 Untergeschosse. Alle drei Gebäude sind über die zweigeschossige Tiefgarage verbunden – eine besondere Herausforderung bei einem Hafengrundstück. Zusätzlich kreuzt die U-Bahn-Linie U4 den Boden unmittelbar unter der Tiefgarage. Nah an der Elbmündung waren die Bauarbeiten außerdem Ebbe und Flut sowie Sturmfluten ausgesetzt.
Somit gab es große Herausforderungen, bevor auch nur der erste Stein gesetzt werden konnte: Wie sollte die Baugrube gesichert und trocken gehalten werden?
Stefan Reich, HPC-Niederlassungsleiter in Hamburg, nahm sich dieser Herausforderung mit seinem Team an. Der Diplom-Ingenieur hat bereits über 30 Jahre Erfahrung im Bau wichtiger Infrastruktur neben und teilweise im Wasser. Mit seinem Team entwickelt er Konzepte für Kläranlagen in Insellage, Hochwasserschutz, Brücken oder Anlagen der Marine.
Geschultes Auge trifft Uferboden
Im Auftrag des Bauherrn, der ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG, nahm die HPC AG geotechnische, hydrogeologische und abfalltechnische Untersuchungen und Planungen vor. Die HPC-Mitarbeiter fanden kaum Schadstoffe. Das liegt vor allem daran, dass diese Fläche eine besondere Entstehungsgeschichte hat. Bis Ende des 19. Jahrhunderts befand sich hier das Hafenbecken des alten Holzhafens. Als dieser nicht mehr genutzt wurde und zusätzliche Lagerflächen benötigt wurden, hat man das Becken kurzerhand mit sauberem Sand verfüllt und mit Kaimauern umschlossen. Das neu gewonnene Hafengelände wurde anschließend mit Schuppen und Hallen bebaut und bis in die 1990er-Jahre zum Warenumschlag und als Lagerfläche genutzt. Letztlich blieben Kontaminationen damit nur oberflächennah. Dementsprechend fielen die Ergebnisse der Baugrund- und Grundwasseruntersuchungen aus: Das Untersuchungsteam stellte bei der Analyse alter Bohrungen und Drucksondierungen fest, dass der Baugrund bis zu einer Tiefe von zehn Metern aus lockerem Sand, darunter aus organischem Material und Schlickschichten der alten Hafensohle besteht.
Erst in 13 Metern Tiefe beginnen die dichteren, tragfähigen Sandschichten. Um festzustellen, wie sich Ebbe und Flut auf das Grundwasser im Baugrund auswirken, hat dann das HPC-Feldteam Beobachtungsbrunnen mit Data-Loggern ausgerüstet. Diese zeichneten die veränderlichen Wasserstände kontinuierlich über mehrere Monate hinweg auf. Die HPC-Ingenieure konnten anhand dieser Daten hydrologische Modelle über die zu erwartenden Baugrubenwasserstände in Beziehung zu den tideabhängigen Elbewasserständen erstellen. Mit den verschiedenen Analyse-Ergebnissen und Modellen konnte das HPC-Team dann den Bauherrn in Sachen Geotechnik und Kostenschätzungen beraten. Bei der nachfolgenden Umsetzung des Projektes wurde HPC auch vom Generalunternehmer, der BAM Deutschland AG, beauftragt, alle geotechnischen Arbeiten eng zu begleiten und die Rolle des Flutschutzbeauftragten zu übernehmen.
Die IQ-Towers: Auf Sand gebaut – aber sicher
Da die ersten Bodenschichten kaum ein Gebäude tragen können, waren Pfähle notwendig. Diese wurden 28 Meter tief in den tragfähigen Sand gebohrt, um den schweren Gebäuden den nötigen Halt zu geben. Da oberhalb der U-Bahn-Trasse nur sehr geringe Gebäudelasten abgetragen werden können, war eine die U-Bahn-Trasse überbrückende Pfahlkonstruktion notwendig. Gleichzeitig fließt die von der Tide beeinflusste Elbe in nur sechs Metern Entfernung neben der Baugrube vorbei.
Der Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser beträgt dort normalerweise schon über 3,6 Meter. Zusätzlich kann mehrmals im Jahr Hochwasser aus Sturmfluten das Tidehochwasser überlagern.
Es galt also auf engstem Raum und unter Beachtung von Ebbe, Flut und Sturmflut die Baugrube zu sichern und trocken zu halten, um das Fundament für die Gebäude zu schaffen. Um zu verhindern, dass das Grundwasser von unten durch die Baugrubensohle bricht, wurden automatisch geregelte Brunnen eingesetzt. Dabei durfte weder zu viel noch zu wenig Wasser abgepumpt werden. Die abzupumpende Wassermenge wurde von HPC vorher errechnet.
November-Sturmflut 2015: Wassereinbruch und schnelles Handeln
Nur die Touristen sehen ausschließlich die Schönheit des Hafens. Hamburger kennen auch die Tücken des Flusses, der regelmäßig von Sturmfluten heimgesucht wird. Die sogenannte Sturmflut-Saison umfasst die Zeit zwischen dem 15. September und dem 31. März des Folgejahres. Der Hamburger Hafen zählt ausdrücklich zu den gefährdeten Gebieten. Folgerichtig ist in Hamburg eine Sturmflut-Sicherung erforderlich, die auch für die IQ-Towers konzipiert und durchgeführt wurde. Die HPC beriet die BAM zur Erstellung einer effektiven Sicherung, bestehend aus wasserdicht umhüllten, sandgefüllten Big-Bags, Filtermatten, Fußfiltern, Auflastkörpern und Böschungssicherungen.
Doch eine verlässliche Sturmflut-Sicherung wird nicht mit einem Mal geplant, errichtet und anschließend sich selbst überlassen. Am Morgen des 30. November, während einer Sturmflut, stellte die Baufirma in der Baugrube eine kleine, undichte Stelle hinter einer Uferwand fest. Diese wurde zunächst auf der Baustelle als nicht sehr bedenklich eingestuft und mit einer Plombe provisorisch abgedeckt. Stefan Reich fuhr am gleichen Tag zur Baustelle und stellte schnell fest: Die Schwachstelle ist hochgradig gefährlich – gerade in der Sturmflut-Saison. Bei der zweiten Sturmflut, die mit dem Abendhochwasser überlagert war, trat bereits viel mehr Wasser aus. Das Elbwasser drohte den dort anstehenden Boden zu erodieren und die Uferwand zu durchbrechen.
Konzipierte Langzeitsicherung
Das HPC-Team reagiert noch in derselben Nacht: Die undichte Stelle wurde mit einem großflächigen Auflastfilter aus Kies auf geotextiler Unterlage gegen Erosion gesichert. Dessen Gewicht stabilisierte die Wassereinbruchstelle zusätzlich. Die Bauarbeiten mussten in den kommenden Tagen nur kurzzeitig unterbrochen werden, um schon eingetretenes Wasser abzupumpen. Anschließend konzipierte die HPC das Sicherungskonzept für die Schwachstelle als Langzeitsicherung für die Zeit nach der Fertigstellung der Gebäude.
Nachträgliche Untersuchungen ergaben, dass die Baugruben-Sicherung im Vorfeld des kleinen Wassereinbruchs keinerlei Mängel aufwies. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Uferspundwand selbst eine bis dahin unbekannte undichte Stelle hatte, durch die das hoch auflaufende Elbwasser ungebremst eintreten konnte. Gleichzeitig wurde wieder einmal deutlich, dass Monitoring und Erfahrungswerte entscheidend sind, um den Sturmfluten des hohen Nordens standzuhalten.
Die Gebäude sind längst fertig gestellt, die U-Bahn verfolgt unter ihnen unbeirrt ihren Regelbetrieb. Von den oberen Stockwerken der IQ-Towers hat man einen herrlichen Blick über Hamburgs Hafen und die Elbphilharmonie. Nur wenige U-Bahn-Fahrer, Anwohner oder Besucher wissen, welch ein Know-how und wie viel Erfahrung notwendig waren, um dieses Gelände zu gestalten. Wer von der Arbeit des Hamburger HPC-Teams weiß, schaut sicher mit anderem Blick auf diese imposante Ecke der Hafencity Hamburg.